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Voneinander lernen

Voneinander lernen

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ie Schule Twann ist ein Ort des Lernens. Dem Lehrplan 21 entsprechend wird dabei das fachlich anspruchsvolle Lernen mit sozialen Lernprozessen verknüpft.

Zum einen lernen Kinder und Jugendliche in alters- und leistungsdurchmischten Gruppen viel mit– und voneinander, ohne sich dessen bewusst zu sein. Im Schulalltag sehen und erleben sie wie andere eine Arbeit angehen, Fragen stellen, mit einem Auftrag ringen, einen Lösungsweg suchen und finden, ein Produkt gestalten, einen Vortrag halten, eine Gruppenarbeit planen – und vieles mehr. Sie lassen sich dadurch inspirieren, übernehmen ein Vorgehen oder Teile davon. So lernen sie spontan und situationsbezogen voneinander.

Kooperative Lernformen

Zum andern unterstützen die Lehrpersonen im Unterricht das Voneinander-Lernen gezielt. Dazu eignen sich insbesondere kooperative Lernformen. Als Grundprinzip kooperativer Lernformen gilt der Dreischritt «Denken – Austauschen – Präsentieren». Zuerst setzen sich die Lernenden alleine mit einer Frage, einem Auftrag, einer Problemstellung, einem Text usw. auseinander. Dann tauschen sie ihre Ergebnisse und Erkenntnisse mit anderen aus (in Gruppen oder mit einem Partner / einer Partnerin). In einem weiteren Schritt werden die Ergebnisse der Partner- oder Gruppenarbeit präsentiert und gemeinsam mit allen besprochen. Viele kooperative Methoden variieren dieses Grundprinzip auf spielerische Weise. Sie tragen so dazu bei, dass das (Vor-)Wissen der Lernenden aufgegriffen, angereichert und gemeinsam vertieft werden kann. Kooperative Formen lassen sich auf allen Stufen und in allen Fächern einsetzen.

Die gemeinsamen Sequenzen (z. B. im Morgenkreis) und das Helfersystem im Zyklus 1, das Ideenbüro im Zyklus 2, in welchem sich Schülerinnen und Schüler gegenseitig bei der Lösungsfindung zu ihren Fragen und Probleme unterstützen sowie das im Zyklus 3 durchgeführte Gotte-/Göttisystem sind weitere Beispiele dazu, wie das Voneinander-Lernen an der Schule Twann zyklusspezifisch und -übergreifend gefördert wird.

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Das Gotte-/Göttisystem im Zyklus 3

Beim Gotte-/Göttisystem, das sorgfältig eingeführt wurde, setzen sich jüngere Schülerinnen und Schüler (der 7. Klasse) selbständig Ziele aus dem Bereich der Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz. Die zur Verfügung stehende Auswahl der Ziele wird dabei im Laufe des Schuljahres schrittweise erweitert und orientiert sich unter anderem am Lehrplan 21. Zu dem jeweils gewählten Ziel formulieren die Jugendlichen Indikatoren, d.h. sie beschreiben genau, woran sie erkennen, dass sie diese Ziele erreichen. Ältere Schülerinnen und Schüler (der 9. Klasse) stehen den jüngeren als Götti / Gotte zur Verfügung und besprechen mit ihnen einmal pro Woche diese Zielsetzungen. Dabei gehen sie strukturiert vor und bringen auch ihre Beobachtungen zur Sprache: Wie ist es dir damit ergangen? Wo siehst du dich auf dem Weg zum Erreichen der Zielsetzung? Was brauchst du, damit es dir (noch besser) gelingt? Mir ist aufgefallen … usw. In diesem Austausch lernen die Gotten und Göttis, wie sie lernförderliche Rückmeldungen geben können und wie sie durch die eigene Vorbildfunktion zur Integration jüngerer Schüler in die Klassengemeinschaft beitragen. Die Jüngeren werden von den Älteren unterstützt und die Älteren bekommen Rückmeldungen zur Art und Weise wie sie ihre Gotte-/Göttifunktion wahrnehmen. Das Gotte-/Göttisystem eröffnet verschiedene Variationsmöglichkeiten und zeigt auf, wie wichtig es ist, das Voneinander-Lernen schrittweise einzuüben und zu vertiefen. Die Zusammenarbeit der Schülerinnen und Schüler wird so über einfache Helfersysteme bis hin zur gegenseitigen Lernprozessbegleitung bei anspruchsvollen Aufträgen angebahnt.

Die Lehrpersonen lernen voneinander

Damit es wirklich selbstverständlich wird, dass in einer Schulgemeinschaft alle voneinander lernen, dass die Bereitschaft wächst, andere zu unterstützen oder selbst Unterstützung zu holen, braucht es auch das Vorbild der Lehrerinnen und Lehrer. An der Schule Twann lernen Lehrpersonen in vielfältigen Formen voneinander und miteinander. Sie arbeiten in Klassenteams zusammen, tauschen sich aus in Zyklusgruppen, nehmen als Gesamtkollegium an Weiterbildungen teil, so dass wichtige Schul- und Unterrichtsentwicklungen gemeinsam getragen und verantwortet werden. Die Schule Twann versteht sich als lernende Gemeinschaft, in der alle am Bildungsprozess Beteiligten nicht nur nebeneinander, sondern vor allem auch mit und – voneinander lernen. Erst so können die vielfältigen Kompetenzen und Ressourcen gewinnbringend zum Tragen kommen.

Georg Bühler-Garcià, Dozent PHBern

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Lernprozesse begleiten

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ie können Kinder und Jugendliche beim Lernen optimal unterstützt werden?

Dieser Frage widmet die Schule Twann hohe Aufmerksamkeit. Die Lernprozesse der Kinder verlaufen unterschiedlich. Sie sind abhängig vom sozialen Umfeld, vom Entwicklungsalter und von individuellen Lernvoraussetzungen (Vorwissen, Selbstbild, Interessen, Stärken, Schwächen usw.). Eine lernförderliche Lernprozessbegleitung muss diese individuellen Gegebenheiten und Lernvoraussetzungen wahrnehmen und berücksichtigen. Gleichzeitig sollte sie die Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zum selbständigen Lernen unterstützen. Dies kann auf vielfältige Weise geschehen. Verschiedene methodische Zugänge lassen sich kombinieren und der jeweiligen Situation entsprechend einsetzen. Zwei solche Zugänge, die im Rahmen von Weiterbildungen im Gesamtkollegium besprochen und im Alltag eingeübt werden, sind das «effektive Feedback» und die «kognitive Berufslehre.» Zudem: Bei allen Formen der Lernprozessbegleitung – unabhängig vom methodischen Vorgehen – gehört eine vertrauensvolle Beziehung und eine dialogisch-wertschätzende Gesprächsführung stets zu den Gelingensbedingungen erfolgreichen Lernens.

Was ist effektives Feedback?

Kurz gesagt geht es darum, den Schülerinnen und Schülern beim Lernen Rückmeldungen zu geben, die sich auf die Aufgabe, den Lernprozess, die Selbststeuerung und das Selbst bezieht. Zu diesem letzten Aspekt gehören Rückmeldungen, die den Selbstwert stärken, wie Lob, Ermutigung oder das Bewusstmachen von Erfolgen. Rückmeldungen dieser Art können zum Aufbau von Selbstvertrauen und einer entspannten Lernatmosphäre beitragen. Gleichzeitig fehlen solchen beziehungsorientierten Rückmeldungen jedoch mehrere für erfolgreiches Lernen entscheidende Elemente. Damit Rückmeldungen den Lernprozess effektiv unterstützen, müssen sie einen konkreten Bezug zur Aufgabe herstellen und die gezielte Reflexion von Lernprozessen und – produkten anregen sowie die Weiterentwicklung im Bereich der Selbststeuerung und der Anwendung von Lernstrategien ermöglichen. Schülerinnen und Schüler wollen nicht nur gelobt werden, sie wollen auch Fortschritte machen «in der Sache», kompetenter werden und erleben, dass die Lehrperson ihren Lernprozessen und -produkten ein echtes Interesse entgegenbringt. Mit gezielten Fragen sowohl zu Beginn des Lernprozesses (z.B. Wie hast du die Aufgabe verstanden?) als auch während (z.B. Was überlegst du dir gerade?) und nach dem Lernprozess (z.B. Was hat dir beim Lösen des Auftrags geholfen?) kann das Lernen effektiv unterstützt werden.

Das Ziel ist, dass sich die Lernenden solche Fragen mit der Zeit selbst zu eigen machen und ihr Lernen so zusehends eigenständiger strukturieren und organisieren. Besonders wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass Fehler zu jedem Lernprozess gehören und als Lernchance genutzt werden können.

Gleichzeitig sind auch die Lehrpersonen auf ehrliche Rückmeldungen angewiesen. Damit sie den Unterricht lernförderlich gestalten können, müssen sie wissen, wie dieser von den Schülerinnen und Schülern erlebt und eingeschätzt wird. Was erleichtert ihnen das Lernen? Wird ihr Vorwissen aufgegriffen? Tragen die Erklärungen und die Lernbegleitung zu einem vertieften Verständnis der Lerngegenstandes bei? Erst aufgrund solcher Rückmeldungen können die Lehrpersonen den Unterricht gezielt auf die Lernvoraussetzungen der einzelnen Lernenden und der jeweiligen Klasse abstimmen.

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Wie kann das Modell der «kognitiven Berufslehre» wirksam werden?

Ein weiterer Bezugspunkt für die Lernprozessbegleitung ist das Modell der «kognitiven Berufslehre». Zu diesem Modell gehören das Modelling, das Coaching, das Scaffolding und das Fading – wobei diese vier Unterstützungsformen nicht einfach nacheinander praktiziert werden, sondern je nach Situation in einem Wechselspiel stehen. Grob skizziert besteht die Rolle der Lehrperson beim Modelling insbesondere darin, das Vorzeigen einer Handlung oder eines Lösungsweges mit lautem Denken zu begleiten. Das Modellieren bietet den Lernenden Orientierung und unterstützt sie dabei ein inneres Bild der angestrebten Handlung aufzubauen. Beim Coaching verschiebt sich die Rolle der Lehrperson vom Vorzeigen zum Beobachten und (sprachlichen) Begleiten. Die Lernenden führen nun ihrerseits die Tätigkeit aus und werden von der Lehrperson mit gezielten Fragen dabei unterstützt ihr Vorgehen zu kommentieren, also zu sagen, was sie denken und tun. Beim Coaching kommen Fragen zum Einsatz (siehe oben: Feedback), die den Lernprozess stimulieren und zum selbständigen Denken anleiten. Die Rolle der Lehrperson beim Scaffolding besteht darin, bei Schwierigkeiten gezielte, dem jeweiligen Kind entsprechende Hilfestellung anzubieten. Das kann beispielsweise eine Skizze sein, die zur Veranschaulichung dient, der Einsatz eines didaktischen Materials, das ein Muster verdeutlicht oder eine mündliche Zusammenfassung der bisherigen Schritte. Die Hilfestellungen sollen den Schülerinnen und Schülern dabei helfen, den nächsten Schritt eines Auftrags zu bewältigen. Die Rolle der Lehrperson beim Fading besteht darin, die Verantwortung für den Lernprozess und die Ausführung einer Tätigkeit zusehends den Lernenden zu übertragen. Die Lehrperson achtet darauf, dass die beim Modelling, Coaching und Scaffolding gelernten Vorgehensweisen und Lernstrategien der Schülerin/ dem Schüler selbst nun als Kompetenz zur Verfügung stehen. Damit wird ein Transfer dieser Kompetenzen auf andere, ähnliche Aufträge unterstützt.

Georg Bühler-Garcià, Dozent PHBern

 
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